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Wir warten auf das Wirtschaftswunder 2.0

Liebe Leser,

der Mai war ein echter Wonnemonat für uns als Börsianer. Die Aktienmärkte zogen mit wenigen Ausnahmen rund um den Globus an. Der DAX oder etwa der NASDAQ 100 rückten jeweils um knapp 9 % voran. Was waren bzw. sind die Kurstreiber?

Erstens: Die Investoren setzen darauf, dass der Virus letztlich nur eine Episode bleiben wird. Er ist schnell über uns gekommen, soll aber letztlich auch wieder relativ schnell verschwinden. Die jüngsten Zahlen von der „Corona-Front“ stimmen zuversichtlich, dass diese Hoffnung nicht unbegründet ist. Zwar tun sich teilweise neue Virenherde (Hotspots) auf. Allerdings greifen diese lokalen Infektionen offenbar nicht mehr auf den großen Raum aus. Ich bin auch guter Dinge, dass die befürchtete zweite Welle, so sie denn überhaupt rollt, keine gefährlichen Dimensionen annehmen wird. Eine erneute Schließung der Wirtschaft schließe ich aus.

Zudem legt der Markt zurzeit ein hohes „Staatsvertrauen“ an den Tag. Mit anderen Worten: Wir gehen davon aus, dass die nationalen Regierungen in Europa und in Nordamerika mächtig Hilfsgelder in den Markt pumpen werden. Erst in dieser Woche hat etwa der französische Präsident Emmanuel Macron ein milliardenschweres Programm zur Ankurbelung des Autoabsatzes in Frankreich angekündigt. Bis zu 7.000 Euro sollen beim Kauf eines neuen Autos fließen, sofern dieses Fahrzeug rein elektronisch angetrieben wird. Aber auch für die Neuanschaffung eines konventionellen Verbrenners soll es eine Subvention geben.

Daneben wird absehbar auch die EU tief in die Taschen greifen. Hier will man bis zu 750 Milliarden Euro mobilisieren, um die angeschlagene EU-Wirtschaft wieder fit zu machen. Und am Markt geht man nicht ganz grundlos davon aus, dass ein Teil dieses Geldes mehr oder weniger direkt in die Kassen der Unternehmen fließen werden.

Kurzum: In der zweiten Jahreshälfte soll es in der europäischen Wirtschaft wieder richtig knallen. Dann sollen die Bänder wieder unter Volllast laufen. So prognostizieren die Wirtschaftsweisen für Deutschland für die zweite Jahreshälfte ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 8,5 %. Im nächsten Jahr soll dann hierzulande die Wirtschaftsleistung immer noch mit einer Rate von 5,8 % expandieren.

Die meisten von uns kennen solches Wachstum nur aus dem Geschichtsbuch. Damals nannte man es das Wirtschaftswunder. Und jetzt erwarten wir das Wirtschaftswunder 2.0. Die Schätzungen mögen im Detail übertrieben sein. Tatsache ist auch, dass die Volkswirtschaften in Europa per saldo in diesem Jahr sicherlich nicht wachsen werden. Aber diese Erkenntnis ist Schnee von gestern.

Der Markt blickt bekanntlich nie zurück. Letztlich ist es nicht interessant, dass etwa das deutsche Bruttoinlandsprodukt Ende Dezember 2020 absolut gesehen unter dem des Vorjahres liegen wird. Entscheidend ist, dass die Dynamik in die Wirtschaft zurückkehrt. Und das wird sie – ich wiederhole mich – sehr wahrscheinlich in der zweiten Jahreshälfte tun.

Eine Idee:

Schauen wir uns einmal die Immobilien-Branche ein

Bekanntlich drehten seit März besonders die Papiere der Wachstums- und Technologie-Unternehmen auf. Die Investoren erkannten, dass digitale Geschäftsmodelle nicht nur kaum gelitten haben, sondern tatsächlich durch die Corona-Krise eine weitere Stärkung erfahren haben. Dafür stehen exemplarisch Unternehmen wie Splunk, Amazon oder etwa die Anbieter von Home Office-Lösungen wie TeamViewer oder Zoom Video.

Ein Blick auf die Indizes verdeutlicht diesen Befund. Im Folgenden habe ich für Sie einmal den Technologie-Index NASDAQ 100 gegen den Index der Old Economy, den Dow Jones gestellt.

Sie erkennen im Chartbild unschwer, dass die Wachstumstitel des NASDAQ 100 in den vergangenen 6 Monaten eine Outperformance in Höhe von 30 % geschafft haben. Das ist für einen solchen kurzen Zeitraum sehr viel Holz.

Der Verdacht liegt nahe, dass es der Markt mit den Wachstumsunternehmen möglicherweise zuletzt etwas zu gut gemeint hat, während man die klassischen Unternehmen unterschätzt hat. Diese Performance-Schwere, die sich etwa ab Mitte März aufgetan hat, wird sich in den kommenden Monaten zugunsten der Old Economy-Unternehmen schließen. Wir werden also eine sog. Branchenrotation erleben. Mit anderen Worten: Demnächst sind die Substanz- und Dividendenaktien wieder gefragt.

Derzeit interessieren mich aus der Gruppe der typischen Substanzunternehmen vor allem Immobilien- bzw. REIT-Unternehmen (Real Estate Investment Trust). Deren Aktien haben im Rahmen der Corona-Krise ähnlich gelitten wie etwa die Papiere der Fluglinien oder der Touristiker.

Zwei Beispiele: Das Geschäftsmodell des US-REITs Welltower litt besonders unter dem Virus. Das US-Unternehmen betreibt Seniorenresidenzen und Rehakliniken in Nordamerika. Als der Virus kam, musste man unter Zeitdruck Betriebsabläufe umstellen, teure Schutzausrüstung für das Personal anschaffen usw. Noch schwerer wog dabei, dass viele Senioren ihren geplanten Umzug in eine solche Anlage verschoben oder sogar gänzlich stornierten. Folglich stieg der Leerstand in den Einrichtungen.

Der führende Gewerbevermieter der Schweiz, Swiss Prime Site, leidet derzeit ebenfalls unter Mietausfällen. Rund 26 % des Portfolios bestehen aus Einzelhandels- und Gastro-Flächen. Kleinmietern hat man sogar eine Monatsmiete komplett erlassen, weil die Eintreibung der rückständigen Zahlungen nicht realistisch war.

Welltower und Swiss Prime waren der Pandemie also schutzlos ausgeliefert. Nun geht der Virus allerdings allmählich und die Situation in der Immo-Branche wird sich normalisieren. Die Mieten werden wieder fließen, und Neuvermietungen sind wieder möglich.

Und am Ende wird wieder offensichtlich, welche großartige Substanz in diesen Unternehmen langfristig schlummert. So sitzt Swiss Prime auf diversen Filetstücken in den besten städtischen Lagen von Zürich, Bern oder Genf. Die Nachfrage nach den Seniorenresidenzen der Welltower in den USA wird ebenfalls zurückkehren. Die Seniorenbetreuung gehört im Kern zu den Geschäftsmodellen, die langfristig immer funktionieren werden. Deshalb zählte Welltower auch vor der Krise zu den besten Aktien des US-Kurszettels.

Meine Strategie für die nächsten Wochen

In den vergangenen Wochen haben wir in Ihren Depots zunächst offensive Titel aufgebaut. Richtigerweise haben wir dabei digitale Geschäftsmodelle etwa von Splunk, PSI Software, Twilio oder Zur Rose in den Vordergrund gestellt.

In den nächsten Wochen werden wir uns verstärkt Dividendenaktien zuwenden. Denn nächstens werden genau solche Substanztitel gefragt sein, wenn das Wirtschaftswunder 2.0 richtig greift. Stichwort: Branchenrotation!

Wie bereits angedeutet, in meinem Analysetopf sind einige Immo-Titel. Neben den zuvor genannten habe ich aus Deutschland Alstria Office im Blick, sowie aus den USA das Herausforderer-Unternehmen Store Capital. Sobald ich in diesem Segment Kursdynamik erkenne, werden wir „reingehen“. Dabei erwäge ich sogar eine Übergewichtung der Immo-Aktien, da die Branche nach dem Corona-Crash massiv unterbewertet ist. Einige Immo-Aktien notieren derzeit nur noch bei einem Viertel ihres inneren Wertes (Immo-Vermögen abzüglich Verbindlichkeiten). Ganz konkret: Hier kaufen Sie einen Euro zum Preis von 25 Cent ein. Diese Chance werden wir nicht ungenutzt lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Alexander von Parseval

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